Der Sprung der Heuschrecke

Kleines Insekt ganz groß: Ein Forschungsteam um Bioniker Prof. Dr. Ivo Boblan von der Berliner Hochschule für Technik entschlüsselt den Heuschreckensprung, um Menschen wortwörtlich auf die Sprünge zu helfen.

Janine Kupfernagel (links oben) geht den energiegeladenen Sprüngen der Heuschrecke auf den Grund. Mit dem Computertomograpen wird das Heuschreckengelenk sichtbar (l. u.). Fertig sind bereits erste Prototypen für das Exoskelett (r.).
Janine Kupfernagel (links oben) geht den energiegeladenen Sprüngen der Heuschrecke auf den Grund. Mit dem Computertomograpen wird das Heuschreckengelenk sichtbar (l. u.). Fertig sind bereits erste Prototypen für das Exoskelett (r.).Bild: Karsten Flögel, Yannis Hahnemann

Die Heuschrecke musste keinen großen Sprung machen, um Forschende verschiedener Disziplinen und Akteure aus Wirtschaft und Industrie für das IFAF-Projekt „EPI – Exoskelette nach dem Prinzip elastischer Insektenlokomotion“ zusammenzubringen. Beteiligte der Berliner Hochschule für Technik (BHT) sind Prof. Dr.-Ing. Ivo Boblan, der Humanoide Robotik lehrt, Prof. Dr. rer. nat. Astrid Haibel vom Studiengang „Phy- sikalische Technik – Medizinphysik“ sowie Engineering-Designerin Janine Kupfernagel, die an der BHT in Kooperation mit der TU Berlin promoviert. Da es sich um ein Verbundprojekt handelt, ist auch die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) mit von der Partie, mit Prof. Dr.-Ing. Sebastian Götz vom Fachbereich Technik und Leben und Doktorand Yannis Hahnemann, der Maschinenbau studierte.

Projektpartner aus der Wirtschaft, die in jedem IFAF-Projekt eingebunden sind, um den Technologietransfer in die Praxis zu fördern, sind die Firma Carl Stahl Süd GmbH, die Berliner Stadtreinigung (BSR), das Institut für Arbeitsschutz bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und die Xploraytion GmbH, die sich mit zerstörungsfreier 3D-Röntgenanalyse und Datenauswertung beschäftigt.

Ziel des Projektes ist, anhand der Methode Bionik den Mechanismus des Heuschreckensprunges zu untersuchen und das zugrundeliegende Wirkprinzip zu entschlüsseln. Gebaut werden soll ein Exoskelett, eine äußere Stützstruktur für den Körper, die dem Menschen helfen soll, lange mobil zu bleiben. „Wir forschen daran, wie sich der Mechanismus des Heuschreckensprunges auf ein Unterstützungssystem für den menschlichen Gehapparat übertragen lässt“, sagt Projektleiter Ivo Boblan. Das auf zwei Jahre angelegte und mit 250.000 Euro ausgestattete Forschungsprojekt blickt auf ein Jahr erfolgreicher Arbeit zurück und hat bereits zwei Prototypen entwickelt, die den Menschen im Arbeitsalltag beim Heben schwerer Gegenstände unterstützen können.

Wirkprinzip entschlüsseln

Doch zurück auf Anfang: Es war Janine Kupfernagel, die mit dem Projekt auf Ivo Boblan zukam. Sie wollte in Richtung Bionik forschen und hatte sich schon am Anfang ihrer Doktorarbeit mit verschiedenen Prinzipien aus der Natur auseinandergesetzt. „Mein Spezialgebiet sind Insekten“, erzählt sie. „Und da ich zu Hause viele Spinnen habe, habe ich auch verschiedene Heuschrecken, die ich verfüttere.“ Dabei ist ihr aufgefallen, wie viel Energie in den Tieren steckt. „Einige Arten springen etwa das Zehnfache ihrer Körperlänge, mit einer Startgeschwindigkeit von 3,2 Metern pro Sekunde“, erzählt sie. Diese explosionsartige Beschleunigung durch Kontraktion, diesen einmaligen Vorgang in der Natur, sah sie als Chance, durch klassische bionische Herangehensweise in ein gutes technisches Produkt zu übertragen.

„Wir in der Technik versuchen, den Menschen bestmöglich in seinem Leben zu unterstützen, also ihm abzunehmen, was ihn krank macht oder in die medizinische Versorgung treiben könnte“, sagt Ivo Boblan. Dazu gehöre auch das Heben und Tragen von schweren Gegenständen. „Wenn die Heuschrecke relativ zu ihrem Gewicht so schnell und weit springen kann, sollten wir doch versuchen, die zugrundeliegenden Wirkprinzipien zu verstehen und in die Technik, zum Beispiel auf Exoskelette in menschlichen Proportionen, zu übertragen.“

Nachfolgeprojekt geplant

Zur Idee der Bionik (Kunstwort aus Biologie und Technik) gehört die interdisziplinäre Zusammenarbeit, zum Beispiel von Biologie, Physik und Ingenieurwissenschaften. Um die zugrundeliegenden Wirkprinzipien des Heuschreckensprungs zu verstehen, machte Prof. Astrid Haibel computertomographische Aufnahmen des Heuschreckengelenks. Erst danach wurden in enger Zusammenarbeit mit Doktorand Yannis Hahnemann und Doktorandin Janine Kupfernagel Konstruktion und Design in Funktion gebracht. Nach knapp einem Jahr intensiver Forschungsarbeit haben die Wissenschaftler*innen ihre ersten Prototypen fertig. Sie haben ein Exoskelett erschaffen, das nicht eng am Köper anliegt, damit sich der Mensch noch frei bewegen kann. Es ist derzeit noch ein passives System, das die natürlichen Körperbewegungen unterstützend in verschiedenen Arbeitssituationen begleitet.

Ein Jahr haben die Forschenden noch, um ihre Prototypen in der Praxis auszuprobieren und die vorliegenden Erkenntnisse in die weiteren Entwicklungen einfließen zu lassen. „Wie praxisnah das Ding dann im Endeffekt ist, das wollen wir noch herausbekommen“, sagt Ivo Boblan. Er plant ein Nachfolgeprojekt, um die Exoskelette mit einem Industriepartner in Serie herzustellen. Ein Erfolg sei bereits jetzt, dass mit dem Verbundprojekt zwei Dissertationen angeschoben wurden, sagt Ivo Boblan: „Das ist natürlich ein super Benefit, dass wir nicht nur für die Industrie irgendetwas herstellen, sondern dass wir auch junge Wissenschaftler*innen ausbilden und Weiterbildung betreiben.“


Forschungsprojekt EPI – Information und Kontakt


Stand: 15.04.2020

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