AMfinish – NSKT
Verfahren zur sensorgestützten Detektion und KI-basierter Echtzeit-Bestimmung von Insekten

Beim Bestimmen von Insekten steckt der Teufel im Detail: Oft lassen sich zwei nahezu identisch aussehende Wildbienen nur an spezifischer Behaarung oder Flügeladern unterscheiden. Das macht das Monitoring von Insekten herausfordernd. Dabei ist das dringend nötig. Insekten sind wichtig für unsere Ökosysteme – sie bestäuben, recyclen Nährstoffe und sind Nahrung für viele weitere Arten. Anhand ihrer Populationsdynamiken lässt sich die gesamte Biodiversität eines Landschaftsraums bewerten. In der Landwirtschaft könnte ein Monitoring von großem Nutzen sein, um das Vorkommen von Nützlingen und Schädlingen besser zu erfassen und dadurch gezielter eingreifen zu können, um die Ernte zu sichern.
Doch traditionelle Überwachungsmethoden wie Totfallen sind ethisch bedenklich und ihre Aufstellung kann nur beschränkt ausgeweitet werden, da sie das Problem verschlimmern und die Insektenzahl reduzieren. Auch eine Einzelbetrachtung der in die Falle gegangenen Tiere durch Entomolog*innen ist aufgrund der komplexen Aufgabe kaum machbar.
Ein Forschungsteam an der BHT will dem Umweltschutz und der biologischen Forschung deshalb neue Technologien zur Verfügung stellen, um Insektenpopulationen zu überwachen. Das Ziel: ein standardisiertes wetterbeständiges Off-Grid-Monitoring-System, das Insekten innerhalb der Taxonomie klassifizieren kann und an entomologische Standards angelehnt ist.
Insekten identifizieren, ohne ihnen zu schaden
Den Anfang machten die Forschenden im Projekt „KInsecta“: Ein Multisensormesssystem sollte die Insekten mithilfe eines KI-Modells automatisch klassifizieren. Zum Ende der Projektlaufzeit gab es ein System, das Open Source für Citizen Scientists, Schulen und Institute leicht nachbaubar war. Es erkannte auf Basis der gesammelten Daten immerhin 20 der Insektenarten. Allerdings gibt es ca. 30.000 Insektenarten allein in Deutschland. Außerdem war die technische Ausführung noch nicht robust und stabil genug für einen zuverlässigen Einsatz. Diesen Problemen nimmt sich das Team nun im Projekt „AMfinish – NSKT“ an. Es entwickelt die Sensorik und Auswertung zur automatisierten Insektenklassifizierung für den professionellen Einsatz und gestaltet das Gesamtsystem robust, damit es autark arbeiten kann. Dabei soll die KI-gestützte Technik die Insekten bestimmen können, ohne ihnen zu schaden oder sie zu beeinflussen. Das System darf sie also weder anlocken, noch darf es zu anstrengend zu durchlaufen sein.
Umweltdaten helfen beim bestimmen
Die Datenbasis für die Klassifizierung liefern eine Kamera und ein Wingbeat-Sensor, da sich nicht alle Insektenarten durch Fotos eindeutig unterscheiden lassen. Der Flügelschlag wird erfasst, wenn das Insekt ein Infrarotlichtfeld abdunkelt. Das Kamerasystem ist so optimiert, dass auch kleinste Details wie Flügeladern oder Härchen erfasst werden können. An beiden Sensoren müssen die Insekten nachvollziehbar vorbeifliegen oder -krabbeln, damit die Signale eindeutig einem individuellen Tier zugeordnet werden können. Das ist herausfordernd: Insekten krabbeln oder fliegen unterschiedlich schnell, manche legen in nur einer Sekunde 80 Zentimeter zurück. Sie überholen einander auf der Messstrecke, laufen nebeneinander oder übereinander her. Deshalb installieren die Forschenden eine zweite Kamera. Sie soll die einzelnen Insekten tracken, ihre Größe bestimmen und sie mit einer temporären ID versehen. Alle Daten werden direkt auf den Sensoren verarbeitet und auf einer SD-Karte gespeichert. Später werden sie in eine Datenbank übertragen. Das stellt sicher, dass das System auch an abgelegenen Orten ohne Zugang zu WLAN funktioniert.
Die gesammelten Daten bieten die Grundlage für die Bestimmung. Jeder Datensatz wird im Projekt von Biologinnen geprüft, den entsprechenden Insekten zugeordnet und anschließend genutzt, um das in „KInsecta“ entwickelte KI-Modell zu trainieren. Um präzise Daten liefern zu können, erhält das Modell auch Informationen zu Umweltdaten wie Wetter, Tages- und Jahreszeit. Das ist wichtig, weil die Merkmale der Tiere selbst innerhalb einzelner Insektenarten variieren. Sie hängen unter anderem von Jahreszeit oder Temperatur ab.
Ohne Stromversorgung im Einsatz
Bleibt ein weiteres Problem: Wie soll das System zuverlässig und über mehrere Wochen im Feld funktionieren – ganz ohne Stromanschluss? Sensorik, Beleuchtung und KI-gestützte Auswertung brauchen Energie. Erneuerbare Energien sind aber nur in Phasen verfügbar und die Akkukapazitäten sollte aus Gründen der Kosteneffizienz nicht zu groß bemessen sein. Die Zeiten der Insektenaktivität stimmt nicht immer mit der Energieverfügbarkeit überein: Viele Insekten sind nachtaktiv.
Hier wird der Industriepartner Konstruktiv GmbH im Projekt aktiv. Er professionalisiert das Gesamtsystem, entwickelt robuste Sensorlösungen und einen Auslösemechanismus, der auch das Hin- und Herschalten in einen Stand-by-Modus ermöglicht. Er entwickelt die Hardware des Multisensorsystems bis zur Produktreife. Die BHT entwickelt schlanke Algorithmen, die mit Ergebnissen aus Energieverbrauchsanalysen, Umweltdaten, Wettervorhersagen und typischen Aktivitätsmuster der Insekten trainiert werden. Das Gesamtsystem soll schließlich umfassend auf den Feldern des Umweltbildungszentrum Listhof e.V. getestet werden.