Insektenmonitoring mit KI

Im Forschungsprojekt KInsecta werden mit Citizen Science neue Möglichkeiten getestet, um die Insektenfauna zu überwachen. Der Prototyp ist mit Beginn der wärmeren Temperaturen in zwei Bundesländern im Einsatz.

Henning Schmidt und Danja Brandt bei der Installation des Laborsystems im Gewächshaus
Henning Schmidt und Danja Brandt bei der Installation des Laborsystems im GewächshausBild: Martin Gasch

Über 33.000 heimische Insektenarten gibt es in Deutschland. Im Frühling beginnt an der Hochschule das Sommersemester und auf den Grünflächen beginnt das große Tummeln. An jeder Ecke surrt, flattert und brummt es. Einige Insekten, wie Schmetterlinge, begrüßen wir gern, auf andere, wie Stechmücken, würden wir liebend gern verzichten. Dabei sind alle Insekten für unseren Lebensraum wichtig und erhalten das ökologische Gleichgewicht – sie bestäuben Blüten, zersetzen abgestorbene Pflanzen oder dienen anderen Tieren als Futter.

Durch großflächige landwirtschaftliche Nutzung und den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden wird der Lebensraum der Insekten zunehmend zerstört – es fehlt an grünen Wiesen, Hecken und Grünstreifen, in denen sie einen Schutzraum finden. Ihre Nahrungsgrundlagen verschwinden. Nicht nur das Artensterben ist weltweit im Gange, auch die Anzahl einzelner Insekten sinkt drastisch. Laut Krefelder Studie, einer Langzeitstudie von ehrenamtlich arbeitenden Insektenfreund*innen, hat die Insektenzahl in den letzten 30 Jahren um 75 Prozent abgenommen. Um die Entwicklungen im Auge zu behalten und die Biodiversität erhalten zu können, ist ein umfassendes Insektenmonitoring eine Voraussetzung. An diesem Punkt setzt „KInsecta“ an, ein Verbundprojekt der BHT und des Umweltbildungszentrums Listhof e.V. (UBZ) im baden-württembergischen Reutlingen, das über den Projektträger Z.U.G., die Zukunft-Umwelt-Gesellschaft GmbH, unterstützt und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) gefördert wird.

Monitoring neu gedacht

Das interdisziplinäre Team von KInsecta entwickelt gemeinsam mit Citizen Scientists ein Multisensorsystem für die Klassifikation von heimischen Insekten im Freiland, das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Im Bereich Sensorik und KI arbeitet an der BHT ein siebköpfiges Team unter der Leitung von Prof. Dr. Ingeborg Beckers und Prof. Dr. Frank Haußer vom Fachbereich II an den Schwerpunkten Sensorik und KI-Methoden.

Die genaue Bestimmung einzelner Insekten ist sehr aufwändig und erfolgt durch Entomolog*innen, die sich an Bildern bzw. Bestimmungsschlüsseln mit äußeren Merkmalen orientieren, meist unter dem Mikroskop. 2021 wurde der KInsecta-Prototyp entwickelt, der pünktlich zum Beginn der Insekten-Saison im Einsatz ist. Dieser soll eine automatisierte Bestimmung ermöglichen. Der Prototyp basiert auf einer Malaisefalle, die beim Insektenmonitoring standardmäßig eingesetzt wird. Beim Verlassen der Falle müssen die Insekten ein Multisensorsystem passieren, welches funktional ähnlich der menschlichen Wahrnehmung aufgebaut ist: Unterschiedliche Sinnesorgane liefern Informationen, die zentral zusammengeführt und nach Relevanz weiter verarbeitet werden.

Im Multisensorsystem werden diverse optische, mechanische und akustische Signale erfasst und mithilfe einer KI eine Vorhersage der Insektenart gemacht. Die Geräusche von Insekten werden durch den Flügelschlag erzeugt und sind eine Möglichkeit, um Insekten zu unterscheiden. Deshalb kommt ein Wingbeatsensor zum Einsatz, ein optischer Sensor, der mit Hilfe von Licht im Nahinfrarotbereich die  Flügelschlagfrequenz misst. Bei den meisten Insekten können mindestens zehn Flügelschläge ausgewertet werden.

Herausforderungen

Die Insekten werden hochauflösend mit einer einfachen Raspberry-Pi-Kamera von oben fotografiert. Dabei ist es notwendig, dass die Aufnahmen besonders detailreich sind, um charakteristische Merkmale, wie die Flügelstruktur und Behaarung, zu erfassen, die auch von Entomolog*innen für die Bestimmung genutzt werden können. Es wird eine Auflösung von wenigen Mikrometern erreicht, innerhalb eines Schärfentiefebereichs von 1,5 Zentimetern. Durch mehrere Lichtschranken ist gewährleistet, dass die Kameraaufnahme für Insekten unterschiedlicher Größe zuverlässig startet.

Das Verhalten der Insekten stellte die Projektbeteiligten zunächst vor Herausforderungen. Der Bau des ersten Prototypen war noch nicht erfolgreich. Prof. Dr. Ingeborg Beckers: „Die Insekten sind nicht an den Lichtschranken vorbeigekrabbelt, sie haben sich gerne auch länger in der Falle aufgehalten oder waren zu träge reinzugehen. Den Bereich, wo sie die Sensorik passieren, haben wir daher jetzt durch eine kleine ‚Arena‘ beschränkt, so dass sie auf jeden Fall von der Kamera erfasst werden und wir ordentliche Aufnahmen bekommen. In der Arena werden die Insekten gleichmäßig ausgeleuchtet. Wir haben gestaunt, wie schnell die Insekten da teilweise durchgekrabbelt sind.“ „Ein Meter pro Sekunde ist durchaus möglich. Das ist auch eine große Herausforderung für die Aufnahmetechnik“, sagt Prof. Dr. Frank Haußer.

KI im Einsatz

Im Kern des Systems laufen diese Daten auf einem Raspberry-Pi-Computer zusammen, wo sie verarbeitet und durch eine KI ausgewertet werden, um Aussagen über die vorliegende Spezies zu treffen. Durch die Zusammenführung der Daten aus den verschiedenen Sensoren ergibt sich für jedes passierende Insekt ein komplexer Datensatz. Zunächst werden gemessene Daten von Entomolog*innen ausgewertet (gelabelt) und so für das Erkennungstraining der KI eingesetzt. Angereichert werden diese insektenspezifischen Daten um Metadaten, wie Temperatur, Tageszeit und lokale Wetterdaten. Mit diesen gelabelten Daten wird das KI-Modell trainiert, das Training selbst wird auf einem größeren Rechenserver durchgeführt. Das fertig trainierte KI-Modell soll schließlich Insektenarten zuverlässig bestimmen können.

Die Herausforderung besteht darin, ein KI-Modell zu implementieren, welches gut generalisiert, also nicht nur korrekte Aussagen bei den erhobenen Trainingsdaten reproduziert, sondern auch im Live-Einsatz eine zuverlässige Artbestimmung ermöglicht. Prof. Dr. Frank Haußer: „Es gibt Insektenarten, die sehr schwer voneinander zu unterscheiden sind, aber die Gattung oder Familie ist oft einfacher. Da werden wir dann eventuell auf diesen Ebenen bestimmen. Von wie vielen Arten wir ausreichend gutes Datenmaterial haben, bestimmt damit die Güte der KI-Anwendung. Die Datenqualität der Kamera ist sehr gut.“

Das KI-Modell wird zunächst nur für einen kleinen Teil der Insektenarten entwickelt und trainiert, es lässt sich zwar erweitern, jedoch wird es nicht möglich sein, jede Insektenart mit Hilfe der KI zu bestimmen, da einige Arten nur durch Präparation (mit Mikroskop und Skalpell) oder über eine DNA-Analyse identifiziert werden können.

Citizen Science

Bei KInsecta sind nicht nur fachliche Expert*innen im Einsatz. Das Projekt wird auch von Citizen Scientists mitgestaltet, die an der Entwicklung des Prototypen, bei Voruntersuchungen oder an Messungen beteiligt sind. Der Begriff „Citizen Science“ beschreibt Methoden in der Wissenschaft, bei denen Bürger*innen in Forschungsprojekte einbezogen werden. Die Teilnehmenden sind dabei nicht institutionell an diesen Wissenschaftsbereich gebunden. CitizenScience-Projekte erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, auch an Schulen kommt diese Methode häufiger zum Einsatz. Die Anwendungsgebiete sind dabei vielfältig und reichen von der Datenanalyse bis zur Umweltbeobachtung. Citizen Science macht Wissenschaft transparent und nahbar. Durch die Kommunikation nach außen wird der Austausch mit der Öffentlichkeit gestärkt. Die Ergebnisse kommen der Wissenschaft dann wieder zugute.

Fünf KInsecta-Prototypen sollen 2022 in Berlin und Baden-Württemberg eingesetzt werden und die KI mit Hilfe von Citizen Scientists trainiert werden. Die Baupläne sind online auf Gitlab open source verfügbar, sodass Interessierte sich eine Monitoring-Station an einem geeigneten Ort aufbauen können. Über die KInsecta-Webseite werden hilfreiche Tipps zum Thema und zum Prototypen bereitgestellt, zudem gibt es ein Forum zum Austausch.

Ein Prototyp ist bereits erfolgreich am UBZ in Betrieb. In Zusammenarbeit mit dem Studiengang Gartenbauliche Phytotechnologie konnte im März im Gewächshaus der BHT bereits ein Aerarium mit einem Prototypen aufgebaut werden. Projektziel ist es, so Prof. Haußer, dass wesentlich mehr Prototypen gebaut werden und im Feld stehen und es so zuverlässig läuft und diese Plattform weiterhin genutzt werden kann.

Über die Webseite können Daten der Monitoring-Systeme in eine zentrale Datenbank geladen werden. Später sollen Auswertungen über das lokale Vorkommen von Insektenarten auf der Webseite visualisiert werden.


Forschungsprojekt KInsekt – Informationen und Kontakt


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