Trinkwasser aus der Luft

Günstig, einfach, energieeffizient: Prof. Dr. Paul Kohlenbach und sein Team arbeiten an einer neuen stromsparenden Methode zur Wassergewinnung aus der Umgebungsluft. Im AWAU-Projekt wird preiswertes Silicagel dafür genutzt.

Röhre mit Silicagel, künstliches Licht strahlt auf ein Objekt
Die Glasröhre ist mit Silicagel (l.) gefüllt. Mithilfe einer künstlichen Sonne (r.) werden an der Versuchsanlage Messwerte aufgenommen. Bild: BHT, Paul Kohlenbach

60.000 Watt – so viel Leistung haben die Lampen der künstlichen Sonne. Das Gerät, das im Labor für konventionelle und erneuerbare Energien (KEE) steht, ist zwei Stockwerke hoch. Momentan wirft es sein Licht auf eine Versuchsanlage, bestehend aus Glasröhren, die mit Silicagel gefüllt sind. Der Aufbau gehört zum Forschungsprojekt AWAU, in dem Wasser aus der Umgebungsluft gewonnen werden soll.

Mithilfe der künstlichen Sonne simuliert das Projektteam der Berliner Hochschule für Technik (BHT) im Zeitraffer Tageslicht. Einfach das Licht anzuwerfen, geht nicht. Das Glas der Röhren benötigt Zeit, um den mit dem Licht verbundenen Temperaturanstieg verkraften zu können. „Wir simulieren die Sonnenaufgänge und Untergänge ähnlich wie in der Natur“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Paul Kohlenbach, Fachbereich VIII.

Mehr als 100 Grad Celsius

Der Clou des Wassergewinnungsprojekts sind die Kügelchen aus Silicagel. Das auch Kieselgel genannte Siliciumdioxid ist vor allem bekannt in Form von kleinen Beuteln, die Verpackungen von Elektrogeräten beigelegt sind. Es entzieht der Luft die Feuchtigkeit.

Diese Eigenschaft macht sich das AWAU-Forschungsteam zunutze. Das Silicagel wird in eine Glasröhre gefüllt und mittels eines solarbetriebenen Ventilators mit Umgebungsluft durchströmt. Nachts speichert das in den Röhren befindliche Silicagel die Feuchtigkeit in der Luft und sammelt so das Wasser. Tagsüber scheint die Sonne auf die Apparatur und erhitzt sie im Zusammenspiel mit einer speziellen Glasbeschichtung und Reflektoren auf mehr als 100 Grad Celsius.

Die im Silicagel gespeicherte Feuchtigkeit verwandelt sich daraufhin in Wasserdampf. Dieser steigt auf und strömt in ein Metallrohr an der Rückseite der Apparatur. Dort kondensiert der Dampf und tropft als destilliertes Wasser in einen Behälter. Eine circa zwei Meter lange Röhre hat auf diese Weise bei Versuchen im Labor durchschnittlich 200 Milliliter Wasser pro Tag erzeugt.

Marktchancen der Technologie

Das Forschungsteam untersucht in Kooperation mit dem Unternehmen Adsorbus aus Berlin das Konzept in Theorie und Praxis. Dazu gehören Experimente mit unterschiedlicher Lichtstärke, die mit Hilfe der künstlichen Sonne eingestellt werden. Das Team will herausfinden, wie sich etwa ein bewölkter Himmel auf den Prozess auswirkt. Auch verschiedene Luftfeuchtigkeiten werden untersucht.

Geprüft werden ebenso Alternativen zum Silicagel, das nach Angaben des Professors sehr günstig ist und für mehrere Millionen Tageszyklen ausreicht. Allerdings ist die Wasseraufnahme temperaturabhängig: „Jedes Material hat einen anderen Temperaturschwellenwert.“ Möglicherweise kann durch Verwendung eines besser geeigneten Materials noch mehr Wasser als bisher gewonnen werden.

Doktorand Johannes Müller soll anhand der in den Experimenten gewonnenen Messdaten ein physikalisches Modell der Apparatur erstellen, das über eine Software mit globalen Wetterdatensätzen kombiniert wird. Damit sollen sich die Wassermengen je Standort und somit die Marktchance der Technologie abschätzen lassen.

Anlage auf dem Dach

Die Marktchance steigt und fällt mit dem Preis pro Liter Trinkwasser; dieser kann abhängig von der Position auf der Weltkugel sehr unterschiedlich ausfallen. Johannes Müller soll sichtbar machen, in welchen Regionen das Verfahren im Vergleich zu Meerwasserentsalzungsanlagen, Brunnenbau und anderen Wassergewinnungsmethoden konkurrenzfähig ist.

„Mit ausreichend vorhandenem Wasser aus einem zentralen Leitungswassersystem können wir preislich nicht konkurrieren“, sagt Kohlenbach. In Gegenden, in denen das Wasser nicht aus dem Wasserhahn kommt, sei Wasser hingegen verhältnismäßig teuer – und damit für AWAU interessant. Im Blick hat er beispielsweise trockene Landstriche, Wüsten oder abgelegene Bergregionen.

Potenzial sieht er auch in Ländern, in denen das Leitungswasser stark gechlort wird und die Menschen daher vorwiegend Trinkwasser im Supermarkt kaufen. „Betreibt man die Anlage auf einem Hausdach in Portugal, gewinnt man zwei bis fünf Liter Wasser täglich.“ Die Vorteile des AWAU-Verfahrens liegen für Professor Kohlenbach auf der Hand: Es sei simpel, billig und brauche keine elektrische Energie.


Das Projekt: AWAU


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